Kulturgut Pferdekarussell

Kulturgut "Pferdekarussell"

In diesem Beitrag möchten wir an die Urform des Karussells erinnern, die die Volksfestbesucher bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum heutigen Tage begleiten. Entstanden sind sie ursprünglich aus den Ritterspielen zu Ross, die den Adeligen und Privilegierten als Vergnügen vorbehalten waren. Erst mit Einzug der Jahrmärkte wurde es auch dem "gemeinen" Volk ermöglicht, auf einem prachtvoll geschmückten Ritterpferd, oder in der edlen Kutsche Platz zu nehmen. In Süddeutschland, Österreich und in der Schweiz erinnern noch die Begriffe "Ringelspiel", "Rösslirytschuel" oder "Reitschule" an die ursprüngliche Herkunft.     

Kein anderes Fahrgeschäft hat eine so lange Tradition aufzuweisen und weckt so viele Emotionen wie das klassische Pferdekarussell. Es steht seit jeher als Symbol für Jahrmärkte und Volksfeste und natürlich auch für das Gewerbe der Schausteller. Hier in Deutschland stand einst die Wiege der ersten realistisch gestalteten Ritterpferde, deren Erfolg sensationell und wegweisend sein sollte. Diese kunstvoll gearbeiteten Karussellpferde wurden damals in aller Herren Länder exportiert. Doch, obwohl es sich hier um eindeutiges Kulturgut handelt, verblasste im Laufe der Zeit die Geschichte ihrer Herkunft. Durch Kriege und durch die Teilung Deutschlands gingen Firmenchroniken der einstigen Karussellfabriken verloren.

Um ein altes Karussell besser verstehen zu können, versetzen wir uns für einen kleinen Augenblick in das Zeitalter vor 1900. Es war ein hartes und von schwerer Arbeit geprägtes Leben. Die Elektrifizierung war noch nicht sehr verbreitet, Kinematographen und Automobile waren eine Seltenheit. Was es aber als Ausgleich gab, waren Jahrmärkte und Schützenfeste mit den perlbestickten und samtbehangenen Karussells, auf denen sich prachtvolle Parade-Kaiser-Spiegelpferde und prunkvolle Königskutschen im Kreise drehten. Neben den stolzen Rössern gab es auch exotische Exemplare wie Elefant, Nashorn, Löwe, Kamel und viele andere mehr, die in abgelegenen und ärmeren Orten nur durch Abbildungen bekannt waren, denn ein Besuch im Zoo war zu jener Zeit kaum erschwinglich. Nun stelle man sich einmal vor, welches Gefühl die Menschen der damaligen Zeit empfunden haben mussten, wenn sie auf einem wilden Löwen oder einem Zebra reiten konnten. In den Abendstunden war die Szenerie in feenhafte, oft gasbetriebene Beleuchtung eingetaucht. Dazu ertönte die mechanische Musik der Orgeln, die hinter wunderbar geschnitzten und vergoldeten Fassaden erklang und manchmal von Trommelschlägen begleitet wurde. An einigen dieser Musikinstrumente drehten sich kleine Figuren zur Melodie. Wie von Geisterhand bewegt, spielten kleine Engelchen auf einem Glockenspiel zum Takt des prächtig geschnitzten Dirigenten. Wie muss diese zauberhafte Atmosphäre die Menschen damals begeistert haben.

Während der Kriege löste der Anblick eines Karussells eine Sehnsucht nach besseren Tagen aus. Eine letzte unbeschwerte Karussellfahrt mit den Liebsten, bevor es hieß, zurück an die Front. Während den Nachkriegszeiten war es Trost und Hoffnungsträger nach einer dunklen Ära. Was muss es für ein Gefühl gewesen sein, nach Kriegsende die ersten bunten Fahrgeschäfte zwischen den Ruinen der Häuser zu sehen. Das erste Mal Karussell fahren nach Bombenangriffen, Verlust und Ängsten. In vielen alten Leuten steckt diese Erinnerung und sie erwacht beim Anblick eines alten Karussells.

Obwohl ein altes Pferdekarussell noch immer zum Träumen anregt, ist die heutige Magie doch eine andere. Manchmal spiegelt sie sich in den Augen der Besucher wider, insbesondere bei den Kindern und älteren Menschen. Es gibt kein anderes Karussell oder mechanisches Objekt, das die Fantasie der Kinder im gleichen Maße anregt. In der heutigen Zeit gibt es kaum ein Karussell, auf dem junge Familien oder Großeltern gemeinsam mit ihren Babys fahren können, denn die Kleinen wissen nicht was sie erwartet und haben häufig Angst. Aber sicher gehalten in den Armen der Erwachsenen geschieht wieder etwas Besonderes. Für die Erwachsenen ist es das Hineintauchen in ihre eigene Kindheit und für die Kleinen die Einführung ins Karussellfahren. Diese besondere Magie scheint die emotionale Anziehungskraft eines alten Pferdekarussells auszumachen.

Bereits im Jahre 1902 berichtete ein Zeitzeuge in einer kulturhistorischen Betrachtung:

"Wenn dann am Abend die langen Laternen, in denen Petroleumlampen brennen, angezündet sind, so gewährt ein solches Karussell der alten Art einen Anblick, der uns Kindern einst märchenhaft erschien und heute noch in uns wehmutsvolle Erinnerung wachruft. Ich fürchte sehr, dass in etwa 20 Jahren dieser Zauber dahin sein wird und dass mit ihm die alten Pferdekarussells verschwunden sein werden."

Als die alten Pferdekarussells nicht mehr gefragt waren, verschwanden sie fast unmerklich von den Festplätzen, denn schon damals verlangte das Publikum nach neuen Belustigungen. Dieser Prozess ging erst langsam voran, beschleunigte sich aber spätestens in den 1960er Jahren. Neue bauliche Auflagen der Genehmigungsbehörden machten hohe Investitionen nötig. So stellte sich irgendwann einmal nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten die Frage, ob sich ein Weiterführen überhaupt noch lohne oder besser in eine moderne Attraktion investiert werden solle - sehr häufig wurde gegen das Pferdekarussell entschieden. Schließlich ist ein Schausteller ein Unternehmer, der mit seinem Geschäft Geld verdienen und für die Zukunft planen muss. Heute gibt es mit der neuen DIN Norm 13814 ein weiteres Erschwernis. Die Wiederinbetriebnahme eines Scheunenfundes ohne gültige Ausfuhrgenehmigung ist nahezu aussichtslos.

Nur noch wenige der verbliebenen alten Pferdekarussells sind heute im alltäglichen Einsatz und stehen dort in Konkurrenz mit den modernen Fahrgeschäften. Der aufwendige Auf- und Abbau, der Transport und der Betrieb bei jeder Witterung, setzt einem aus Holz gebauten Karussell gehörig zu. Dadurch wird der Unterhalt sehr zeitaufwendig und teuer. Um die Spuren des täglichen Einsatzes zu beseitigen, wurden viele der alten Holzpferde immer wieder neu bemalt. Dadurch verschwanden die filigranen Schnitzereien unter einer dicken Farbschicht.

Da aber in der heutigen Zeit die historischen Karussells mit einem originalen Besatz sehr selten geworden sind, verblasste auch mit der Zeit die Erinnerung an das Erscheinungsbild der originalen Karussellpferde. Billige Importware aus Fernost überflutete in den 1990er Jahren Deutschland. Sei es aus Mangel an Kenntnis oder bewusst falsch deklariert, werden diese Plagiate oft als original historische Karussellpferde angepriesen. Für den Betrachter ist es schwierig, ein Plagiat von einem historischen Karussellpferd und somit von einem wertvollen Kulturgut, zu unterscheiden. Umso wichtiger sind in der heutigen Zeit Ausstellungen mit originalen Exponaten, um das Interesse an Karussells zu erhalten.

Abschließend muss hier gesagt werden, dass jede noch so einfache Form eines original alten Karussells mit seinen Pferden, Tieren und Kutschen ein wertvolles Stück Kulturgeschichte darstellt. Meist wurden sie weit vor der Jahrhundertwende gebaut und bereiteten vielen Generationen Freude. Sie sind Relikte aus einer anderen Epoche, die mit Respekt betrachtet und entsprechend behandelt werden sollten.

Darum - nehmen Sie Platz, in einem der wunderschönen historischen Karussells, halten Sie einen Moment inne und lauschen Sie den Klängen und Geräuschen, die eine Geschichte aus längst vergangenen Tagen erzählen. Mit dem Kauf einer Fahrkarte tragen Sie dazu bei, dass auch künftige Generationen ein altes ehrwürdiges Karussell erleben können.

Quelle: aus dem Buch "Vom Karussellpferd zur Raketenbahn", Susanne Fredebeul, ISBN: 978-3000616952

 

Toni Schleifer, Füssenich

Toni Schleifer ist Gründungsmitglied und unser Kassenwart.

Seit 1878 betreibt die Familie Schleifer Pferdekarussells und ist seitdem auf den Festplätzen des Rheinlandes und auch überregional anzutreffen.

Zwei Pferdekarussells, eine Berg und Talbahn, sowie mehrere historische Zugmaschinen und Orgeln werden von Toni und seinem Vater Jakob Schleifer liebevoll gepflegt.

Neuheit 2010: Die Berg- und Talbahn "Fahrt ins Paradies" von 1939

Dieses historische Fahrgeschäft aus der Fabrik von Friedrich Heyn aus Neustadt an der Orla ist original restauriert und feierte seine Premiere auf der Annakirmes in Düren.

Weitere Informationen und Kontakt:

Schaustellerbetrieb Toni Schleifer
Uferstraße 34 • D-53909 Zülpich
Tel.+Fax: +49 (0) 22 52 / 95 21 95 • Mobil: +49 (0) 171 / 83 91 692

Internet:http://www.schleifers-carouselle.de/

 

Alex Fredebeul, Ahlen

Alex Fredebeul ist der Schriftführer der Historischen Gesellschaft.

Mittlerweile befinden sich mehrere Karussells und historische Objekte in der Sammlung von Susanne und Alex Fredebeul.

Das historische Kinderhängekarussell mit den schönen Karusselltieren, Baujahr 1929, ist regelmäßig auf dem historischen Jahrmarkt in Bochum anzutreffen.

Mehr Informationen unter: 

Kontakt:

Susanne und Alexander Fredebeul, Ahlen

Mobil:  0160-5104654
Telefon: 02382-73719


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nternet:  http://www.karussellpferde.de

 

 

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